Die Art wie wir leben und wohnen, sagt viel darüber, wie wir gesehen werden wollen und auch wie wir uns sehen. Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich der Fokus unserer Aufmerksamkeit immer mehr nach innen verlagert. Cocooning heißt seit der Jahrtausendwende das Zauberwort. Die Theorie dahinter: Je stressiger und unübersichtlicher die Welt draußen, umso mehr erfolgte der Rückzug in die eigenen vier Wände mit dem Argument „Weil es zuhause eben doch am schönsten ist“.
Dabei ging es nicht darum, sich vom Leben im öffentlichen Raum zurück zu ziehen, sondern darum, das soziale Leben nach Hause zu verlagern. Am besten in die geräumige Wohnküche oder auf riesige Polsterlandschaften oder in kuschelige XXL- Sessel zum Spielabend mit Freunden und Familie. Früher hätte man schlicht von einer Sehnsucht nach Gemütlichkeit gesprochen, dieses Wort ist heute out, wer es heute gemütlich haben will, will es hygge – wieder ein neuer Lifestyle Begriff, der diesmal nicht aus dem englischen, sondern aus dem dänischen Kontext stammt. Soweit der derzeitige Blick nach innen ins Haus.
Draußen dagegen gibt es Flächen, da bleibt so manches auf der Strecke. Nennen wir es einfach unseren Garten Die private Fläche ums Haus nennen wir Garten. Es ist der Raum zwischen dem Nachbarn und uns, aber auch der Platz zwischen dem Haus und der Straße. Der Garten hinter dem Haus ist längst zu einem erweiterten Wohnraum geworden, den man mit bodentiefen Fenstern attraktiv überblicken kann. Er zeigt heute oft Grillstelle, Sonnendeck, schattige Sitzplätze, Loungemöbel, Beete und Bäume, eine Hecke mit Naschobst, Kübel und Töpfe mit mediterranen Pflanzen und jeder Menge Accessoires. Der Fläche vor dem Haus werden dagegen Zuwendung und Aufmerksamkeit in Zeiten wie diesen vielerorts entzogen. Oft scheint die Fläche zu klein für all die Autos, den Fahrradständer, die Mülleinhausung, den Briefkasten. Manchmal hätte aber ein Hausbaum ausreichend Platz, würde dem Haus sogar gut zu Gesicht stehen, würde ein blühendes Frühjahr im Beet Freude versprühen, wären Stauden ein Lichtblick oder böten filigrane Gräser ein herrliches Spiel mit dem Wind. Oft trotz Flächenangebot Fehlanzeige! Gezeigt werden Kies und Schotter, klare Kanten, versiegelte Flächen, graue Betonmauern. Ordnung und Kontrolle haben in deutschen Gärten immer eine große Rolle gespielt, aber die komplette Versiegelung ist weit mehr als das: In diesen steinernen Vorgärten soll nichts leben, soll sich nichts verändern, soll nichts Arbeit machen. Hier braucht keiner den Rasen zu mähen, die Bäume zu schneiden, die Beete zu gießen – hier braucht man gar nichts machen, aber hier macht auch nichts Freude, überrascht keine Blüte, duftet keine Rose, freut keine Herbstfärbung, kommt kein Gespräch mit dem Nachbarn zustande. Der Rasenmäher wird durch den Laubsauber abgelöst, denn Laub ist der wahre Feind des Kiesgärtners.
Hatte er sich doch einen pflegeleichten Vorgarten gewünscht, einen der nie wieder Arbeit macht. Mittlerweile wächst bei vielen Hausbesitzern die Einsicht, dass der Schottergarten ein Irrtum ist. „Wir sind überzeugt, dass die versiegelten Flächen vor den Häusern eine vorübergehende Erscheinung unserer Zeit sind,“ meint auch Lutze von Wurmb, Präsident des Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau (BGL). „Dabei geht es überhaupt nicht um Geschmacksfragen, sondern um viel mehr. Die Diskussionen um den Klimawandel, um das Wassermanagement bei Starkregenfällen, um Frischluft-Inseln im Sommer, um Artenreichtum von Pflanzen und Insekten – all dies sind Themen, die auch mit den Vorgärten zu tun haben. Wir motivieren unsere Mitglieder, ihre Kunden mit guten Argumenten von pflegearmen, aber artenreichen Vorgärten zu überzeugen, damit die Gärten das tun, was ihre wichtigste Funktion ist, ihren Besitzern Freude zu machen. Den eigenen Vorgarten sieht man als arbeitender Mensch jeden Tag mindestens zwei Mal, einmal, wenn man das Haus verlässt und dann, wenn man wieder nach Hause kommt.“ Dass das Thema viele Menschen mit sehr unterschiedlichen Motiven beschäftigt, zeigt die Facebookseite „Rettet den Vorgarten“. Dort werden gute Beispiele und gelungene Vorgärten gezeigt, hier wird aber auch eine sehr angeregte Diskussion geführt, wie man auf attraktive Weise zu pflegearmen, artenreichen Vorgärten kommt.
BGL